Carmen Gomez
Barbitch 1995 - 2025
​
Figuren aus PVC-Modeliermasse, handgefertigte Unikate
Als Carmen Gomez 1994 ihre erste grosse Arbeit aus PVC, eine Madonna-Ikone in einem
fensterlosen, von Kerzen erleuchteten, feuchten Fabrikraum zeigte, waren die Besucher fasziniert
von der sinnlichen, erotisch-morbiden Atmosphäre, die von der Installation ausging. Carmen
Gómez hatte der religiösen Mutterfigur eine Facette ihrer Persönlichkeit zurückgegeben, die ihr
Kirchenväter während Jahrhunderten verwehrten: die Sexualität.
​
Auf der Suche nach Ikonen der Gegenwart, denen ebensolches Unrecht geschehen war, wurde
Carmen Gomez im Kinderzimmer ihrer Tochter fündig: Barbie, seit fast 40 Jahren der Inbegriff
der modernen Puppe, makellos schön, mit viel zu grossen Augen und viel zu kleinen Füssen, aber
trotz eindrücklicher Oberweite seltsam steril und unerotisch. Unter ihren Händen wandelte sich
Barbie zu Barbitch. Was auf den ersten Blick „nur“ ein Spielzeug für Erwachsene ist, stellt sich -
davon zeugen die zum Teil entrüsteten Reaktionen - als die gekonnte Dekonstruktion eines
modernen Mythos heraus. Indem Carmen Gomez die Barbies mit Brustwarzen und
Geschlechtsteilen ausstattet und stereotype erotische Phantasien - Barbitch als Krankenschwester
mit Strapsen, als peitschenschwingende Nonne oder als aufblasbare Gummipuppe - inszeniert,
zerstört sie das Frauenbild, das Barbie transportiert, und denkt es gleichzeitig zu Ende.
So steht nicht die „Kunst-Werdung“ eines Massenprodukts wie in der Pop Art im Zentrum der
Arbeit von Carmen Gomez. Sie geht noch einen Schritt weiter und hat die Ikone „Barbie“ aus
ihrer heilen Welt geholt und vervollständigt. Barbie ist erwachsen geworden. Zur Freude der
einen und zum Leidwesen der anderen hat sie sich als Luder entpuppt.
​​
J. Gees, Januar 1997